Hilfe! Mein Auszubildender konsumiert Kautabak!

Hallöchen 🙂

Vor einigen Tagen trudelte eine wirklich außergewöhnliche Frage ein, die ich dir aber natürlich nicht vorenthalten will:

Liebe Katja,

vielen Dank für die Möglichkeit dir Fragen zu stellen, die ich direkt nutzen möchte. Mein Auszubildender ist 19 und kam kürzlich von einer Reise in das wunderschöne Schweden zurück. Doch statt frischen Fisch brachte er eine neue Unsitte mit: eine Vorliebe für Kautabak. Was er daran findet kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen – doch er hat das Zeug nun überall dabei. Ist das nicht illegal (ich dachte es gibt ein Verbot von der EU dafür)? Darf ich ihm das als Ausbilderin verbieten? Ich habe wirklich Sorge, dass er seine jüngeren Kollegen auf unschöne Gedanken bringt. Ganz abgesehen davon, ertrage ich das Spucken nicht. Mir wird jedes Mal ganz übel!

Ich danke dir schon mal für deine Antwort.

Sonnige Grüße aus Nürnberg*,

Sonja*

(* Ort und Name geändert)

Kautabak FAQ

Anmerkung: Ich muss zugeben, mit diesem Thema hatte ich noch nie zu tun – umso spannender finde ich die Frage aber. Daher zum Einstieg erstmal wieder einige allgemeine Informationen.

Was ist Kautabak?

Zigaretten und Zigarillos kennt sicher jeder – egal ob man raucht oder nicht. Doch es gibt noch weitere Möglichkeiten Tabak zu konsumieren – und das sogar rauchfrei. Dazu zählen

  • Schnupftabak und
  • Kautabak.

Bei Letzterem handelt es sich um Tabak, der entweder gekaut wird (wie der Name schon sagt) oder einfach nur im Mund gehalten wird. Auch wenn ich denke, dass diese Tabak-Variante hierzulande nicht so verbreitet ist, war Kautabak schon zu Zeiten Christoph Columbus’ sehr beliebt und ist somit kein Hype-Produkt der letzten Jahre.

Ein kurzer Blick in die Geschichte des Kautabaks

Keine Sorge – ich will dich nicht langweilen. Aber ich finde, dass man sich trotzdem immer mit den Hintergründen von Dingen beschäftigen sollte, um sie besser zu verstehen.

Rauchen war schon zu Zeiten der Maya-Priester 600 bis 500 vor Christus äußerst beliebt. Doch Seefahrer hatten ein Problem: Sie konnten Tabak nicht anzünden, weil sonst die Gefahr bestand, dass ihr Holzschiff verbrannte. Doch Christoph Columbus fand durch Zufall eine Lösung für das Problem: Indianer kauten mit Muschelkalk versetzten Tabak, statt ihn zu inhalieren.

Danach verbreitete sich Kautabak in vielen Teilen der Welt rasend schnell. Vor allem im skandinavischen Raum ist Kautabak auch heute noch sehr beliebt.

Ist Kautabak ungesund?

Die Schädlichkeit von Rauchen (sprich dem anzünden und inhalieren von Tabak und den mehreren Tausend Zusatzstoffen – von denen etwa 90 nachgewiesen krebserregend sind) ist inzwischen bekannt. Daher sind Forscher und Konsumenten auf der Suche nach Alternativen. So wundert es wenig, dass es inzwischen zahlreiche Studien dazu gibt. Das Fazit ist dabei, dass der Konsum von unverbranntem Tabak weit weniger schädlich ist als das Rauchen.1

Darüber hinaus gibt es vier große Metaanalysen, bei denen alle bisherigen Studien zu den Themen “Rauchloser Tabak und Gesundheit” bzw. “Rauchloser Tabak und Krebs” ausgewertet wurden. Deren Fazit ist:

  1. Stand im Jahr 2006: Der Konsum von Kautabak erhöht das Risiko für Mundhöhlenkrebs minimal.2
  2. Stand im Jahr 2008: Das Krebsrisiko von Menschen die rauchlosen Tabak konsumieren ist vermutlich geringer ist als das von Rauchern, allerdings größer als das von jenen, die gar keinen Tabak konsumieren.3
  3. Stand im Jahr 2009: Auch diese Metaanalyse bestätigte: Der Konsum von Kautabak erhöht das Risiko für Mundhöhlenkrebs minimal.4
  4. Stand im Jahr 2011: Auch diese Metaanalyse bestätigt die Assoziation, dass rauchloser Tabak nach westlicher Machart das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs nur minimal erhöht.5

Eine Erklärung für das geringe Gesundheitsrisiko ist der Umstand, dass sich durch Kautabak kein Teer in der Lunge absetzt. Daher geht man derzeit davon aus, dass rauchloser Tabakgenuss deutlich weniger riskant ist, als das Rauchen von Zigaretten.6

Ist Kautabak verboten?

Auch wenn du wahrscheinlich gleich den Kopf schüttelst: Ja, mit sowas beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof.

Die Kurzfassung: Per rechtlicher Definition handelt es sich bei Kautabak um Tabak, dessen Inhaltsstoffe ausschließlich durch Kauen freigesetzt werden. Und genau dieser ist erlaubt.7

Andere Sorten des Oraltabaks (z. B. Varianten zum Lutschen) sind allerdings nach EU-Recht verboten. Dies trifft auch auf Snus zu, der deutlich gesundheitsgefährdender sein soll.8 Hierbei handelt es sich um eine Unterform von Lutschtabak aus Skandinavien. Auf derartige Ergebnisse wird Sonja wahrscheinlich gestoßen sein und daraus schlussfolgern, das Kautabak generell verboten sei. Inzwischen gibt es aber zahlreiche Hersteller von Snus, die den Tabak so produzieren, dass er in Deutschland und dem Rest der EU ohne Einschränkungen zum Verkauf zugelassen ist.

Kannst du als Ausbilder den Konsum von Kautabak verbieten?

Wie ich in meinem Artikel über das Rauchen bei Auszubildenden schon schrieb, ist der Handlungsspielraum von Ausbildungsbetrieben eingeschränkt – vor allem wenn der Auszubildende volljährig ist.

Es gibt zwar die Möglichkeit ein generelles Rauchverbot auf dem Betriebsgelände auszusprechen (z. B. aus Sicherheitsgründen) – allerdings haben ja schon die alten Seefahrer festgestellt, dass durch Kautabak nichts anfängt zu brennen … Ich habe auch keinen Präzedenzfall zu dem Sachverhalt gefunden – was entweder darauf schließen lässt, dass das ein sehr seltenes Problem ist oder die Beteiligten sich anders einigen.

Anders verhält es sich mit dem Ausspucken – das ist wirklich unschön und verschmutzt dazu noch das Firmengelände. Auch dazu habe ich noch kein passendes Urteil gefunden – aber immer mehr Städte nehmen Spucken in ihren Bußgeldkatalog auf. In Köln kostet die Verunreinigung und Verunstaltung von öffentlichen Flächen durch Spucken beispielsweise 30 bis 60 Euro.9

Was kannst du als Ausbilder tun?

Ich würde zunächst für mich klären, was ich mir wünsche.

  • Soll er es ganz lassen?
  • Außerhalb des Betriebsgeländes Tabak kauen?
  • Oder einfach nur das Spucken lassen bzw. das diskreter machen?

Sobald du das weißt, würde ich ein Gespräch anberaumen und ganz ruhig mit dem Auszubildenden darüber reden. Denk dran, er ist ein junger Mensch – auch wenn er schon über 18 ist, schlägt in ihm wahrscheinlich ein Teenie-Herz, das rebellisch sein will oder das cool findet.

Von daher lote zunächst deine persönlichen Wünsche und Grenzen aus und dann im Gespräch die deines Auszubildenden. Versucht einen Kompromiss zu finden, mit dem ihr beide leben könnt. Bei meinen Recherchen bin ich übrigens darauf gestoßen, dass es Spucknäpfe für Kautabak-Konsumenten gibt – der Boden in eurem Betrieb wird sich sicher freuen.

Du könntest in Vorbereitung darauf, z. B. auch Informationstage/ -Stunden zu Drogen einplanen, bei denen alle deine Auszubildenden für die Folgen sensibilisiert werden.

Huhu Sonja,

am wichtigsten ist denke ich ruhig bleiben bei dem Gespräch. Ich verstehe deine Bedenken – aber ich denke Verbote ohne rechtliche Grundlage und Vorhaltungen bringen wenig und wecken wahrscheinlich nur den Trotz. Ich wünsche dir sehr, dass ihr es schafft ein Gespräch bei entspannter Atmosphäre zu führen und dein Auszubildender deine Sorgen versteht.

Falls ich dir noch irgendwie helfen kann, melde dich.

Liebe Grüße,

Katja

Quellen:

  1. Quelle: Royal College of Physicians of London: Protecting smokers, saving lives. The case for a tobacco and nicotine regulatory authority, auf: https://www.hri.global/files/2011/07/13/RCP_-_Protecting_Smokers.pdf; abgerufen am 24. Juni 2019
  2. Quelle: Brad Rodu &William T Godshall: Tobacco harm reduction: an alternative cessation strategy for inveterate smokers, auf: https://harmreductionjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/1477-7517-3-37; abgerufen am 24. Juni 2019
  3. Quelle: Boffetta, Hecht, Gray, Gupta & Strai: Smokeless tobacco and cancer – in “The lancet oncology”
  4. Quelle: Lee & Hamling: Systematic review of the relation between smokeless tobacco and cancer in Europe and North America – in “BMC Medicine”
  5. Quelle: Brad Rodu: The scientific foundation for tobacco harm reduction, 2006-2011, auf:https://harmreductionjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/1477-7517-8-19; abgerufen am 24. Juni 2019
  6. Quelle: Carl V Phillips: Debunking the claim that abstinence is usually healthier for smokers than switching to a low-risk alternative, and other observations about anti-tobacco-harm-reduction arguments, auf: https://harmreductionjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/1477-7517-6-29; abgerufen am 24. Juni 2019
  7. Quelle: Der Gerichtshof (Sechste Kammer): Günter Hartmann Tabakvertrieb GmbH & Co. KG gegen die Stadt Kempten, auf: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=206857&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1; abgerufen am 24. Juni 2019
  8. Quelle: Der Gerichtshof (Neunte Kammer): Europäische Kommission gegen das Königreich Dänemark, auf: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=165929&pageIndex=0&doclang=FR&mode=req&dir=&occ=first&part=1; abgerufen am 24. Juni 2019
  9. Quelle: Sicheres und sauberes Köln: Verwarnungs- und Bußgelder, auf: https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/satzungen/bu%C3%9Fgeldrahmen_zur_k%C3%B6lner_stadtordnung_stand_29_januar_2017.pdf; abgerufen am 24. Juni 2019

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