Hilfe! Mein Auszubildender ist inkontinent!

Huhu, es ist mal wieder eine Leserfrage eingetrudelt!

Hey Katja,

ich habe da ein wahrscheinlich sehr seltenes Problem: Mein Azubi Peter* (16, 1. Lehrjahr) ist inkontinent. Anfangs hat man es gar nicht bemerkt, aber neulich ging etwas daneben und es kam zu einer ziemlich peinlichen Situation.

Hast du Tipps, wie ich damit umgehen soll?

Grüße, Hans

(* Namen geändert)

An welche Altersgruppe denken die meisten Menschen beim Thema Inkontinenz? Richtig, Senioren.

  • Doch wusstest du, dass es allein in Deutschland ca. 10 Millionen Menschen an Inkontinenz leiden?
  • Weltweit sogar 200 Millionen Menschen?
  • Das 10 Prozent der Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahre inkontinent sind?

Inkontinenz FAQ

Was genau bedeutet inkontinent?

Ganz einfach gesagt handelt es sich dabei um eine Erkrankung, bei der Urin, Darmgase oder flüssiger/ fester Stuhl unkontrolliert und unwillkürlich entweichen. Dabei fehlt oder mangelt es dem Körper an der Fähigkeit, den jeweiligen Inhalt zu speichern. Dadurch können Betroffene nicht mehr steuern, wann Urin, Flatulenzen oder Stuhl abgegeben werden.

Welche Formen von Inkontinenz gibt es?

Bei Inkontinenz denken die meisten an Blasenschwäche – sprich den unkontrollierten Abgang von Urin. Darüber hinaus gibt es auch noch Stuhlinkontinenz.

Alles Wichtige dazu habe ich dir in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

Form Hinweise
Belastungsinkontinenz bzw. Stressinkontinenz Hierbei handelt es sich um die weitverbreitete Form der Harninkontinenz. Diese tritt auf, weil der Verschluss der Blase nicht mehr richtig funktioniert. Die Beeinträchtigung des Schließmuskels (Musculus sphincter urethrae genannt) kann viele Ursachen haben. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.

Grundsätzlich lässt sich Belastungsinkontinenz in vier Stadien einteilen:

  • Stadium I: unwillentlicher Abgang bei schweren körperlichen Belastungen (z.B. Husten, Niesen, Springen, Lachen)
  • Stadium II: unwillentlicher Abgang bei leichten körperlichen Belastungen
  • Stadium III: unwillentlicher Abgang im Stehen
  • Stadium IV: unwillentlicher Abgang auch im Liegen
Dranginkontinenz Bei dieser Form der Harninkontinenz ist eine Störung der Blasenspeicherung des Problem. Während eine gesunde Blase einiges an Urin fassen kann, zieht sich bei Betroffenen mit Dranginkontinenz der Schließmuskel auch bei geringen Menschen zusammen, wodurch es zum unwillentlicher Abgang von Urin kommt.
Neurogene Blase Bei dieser Form der Harninkontinenz sind Beeinträchtigungen des Nervensystems Ursachen für die Störung der Blasenfunktion.
Chronischer Harnverhalt Auch die sogenannte Ischurie ist eine Form der Harninkontinenz. Hierbei kann allerdings der Urin durch eine Blockade der Harnwege nicht richtig abfließen, was dazu führt, dass die Blase immer voller wird. Im besten Fall kann das Abflusshindernis entfernt werden, denn andernfalls kann sich der Urin bis zu den Nieren zurückstauen, was eine schwere Nierenschädigung nachsichziehen kann.
Nachtröpfeln Zum Abschluss der Formen der Harninkontinenz noch eine Sonderform: das Nachtröpfeln. Hierbei treten nach dem Urinablassen noch einige Tropfen Urin aus der Harnröhre.
Stuhlinkontinenz Hierbei leiden Erkrankte nicht durch den unkontrollierten Abgang von Harn, sondern Flatulenzen oder Stuhl. Leider ist das Wissen über diese Inkontinenzform nur wenig verbreitet und so werden unfreiwillige Flatulenzen oft als schlechtes Benehmen missverstanden.

Grundsätzlich lässt sich Stuhlinkontinenzin drei Grade einteilen:

  • Grad 1: unwillentlicher Abgang von Winden und Darmschleim führen zu leichter Wäscheverschmutzung
  • Grad 2: unwillentlicher Abgang von Winden und flüssigem Stuhl
  • Grad 3: unwillentlicher Abgang von Winden, flüssigem Stuhl und festem Stuhl

PS: Harn- und Stuhlinkontinenz können auch gleichzeitig auftreten.

PS2: Wenn gleichzeitig Symptome der Belastungsinkontinenz sowie Symptome der Dranginkontinenz auftreten, nennt man dies Mischinkontinenz.

Wodurch kann Inkontinenz entstehen?

Die Ursachen für Inkontinenz sind vielfältig. Zu den häufigsten Ursachen gehören bei

  • Belastungsinkontinenz bzw. Stressinkontinenz: Schwäche des Beckenbodens (z. B. aufgrund vaginaler Geburten), Schwangerschaft oder Übergewicht
  • Dranginkontinenz: noch nicht ganz geklärt, aber Experten gehen von folgenden Ursachen aus: der ganz normale Alterungsprozess, Entzündungen der Harnblase oder Entzündungen der Harnröhre, neurologische Erkrankungen
  • Neurogene Blase: Nervenerkrankungen (wie z. B. Morbus Parkinson), Gehirntumore, Verletzungen des Rückenmarks
  • Chronischer Harnverhalt: Blasensteine, vergrößerte Prostata, schwache Blasenmuskulatur
  • Nachtröpfeln: vergrößerte Prostata, schwache Beckenbodenmuskulatur
  • Stuhlinkontinenz: muskuläre Störungen, neurologische Störungen, sensorische Störungen, Störung der rektalen Speicherfunktion; Teil des Alterungsprozesses, kann aber auch angeboren sein

Welche Therapien gibt es bei Inkontinenz?

  • Belastungsinkontinenz bzw. Stressinkontinenz: konservativ (Beckenbodentraining, Biofeedback-Training mit einer akustischen und/oder visuellen Rückkopplung oder Reduktion des Körpergewichts bei Übergewicht), Medikamente, Operation, Inkontinenzhilfsmittel
  • Dranginkontinenz: Verhaltenstherapie, Beckenbodentraining, Blasentraining, Medikamente, Operation, Inkontinenzhilfsmittel
  • Stuhlinkontinenz: Inkontinenzhilfsmittel, die Therapiemöglichkeiten sind abhängig von der Ursache

Welche Inkontinenzhilfsmittel bzw. welches Inkontinenzmaterial gibt es?

Nicht bei allen Formen sind Medikamente, Behandlungen oder OPs nötig/ möglich. Daher gibt es auf dem Markt inzwischen eine Vielzahl an Hilfsmitteln, die Betroffenen das Leben erleichtern. Zu den gängigsten Inkontinenzmaterialien zählen:

  • Inkontinenzeinlagen
  • Inkontinenz Unterhosen bzw. Inkontinenzhosen
  • Windeln bzw. Windelhosen
  • Vibrationsuhren
  • Weckgeräte für Bettnässer
  • Inkontinenz Badebekleidung
  • spezielle Bettwäsche
  • Inkontinenz Stuhlauflagen

Ich würde dir wirklich empfehlen, einige Einlagen, Windeln und/ oder Inkontinenz Unterhosen für deinen Auszubildenden vorrätig zu haben. Entweder bittest du ihn dir welche zu bringen und sie im Spind (oder falls das zu offensichtlich ist an einem anderen Ort) aufzubewahren. Alternativ kannst du sie auch selbst bestellen. Im Netz gibt es eine Vielzahl an Anbietern wie https://dryandcool.de, bei denen man Inkontinenzmaterial für Kinder und Erwachsene bestellen kann. Auch Wechselkleidung würde ich im Unternehmen hinterlegen, damit sich dein Auszubildender im Notfall umziehen kann. Darüber hinaus bietet sich je nach Schwere der Krankheit eine Inkontinenz Stuhlauflage an.

Was kannst du als Ausbilder tun?

So viel zum theoretischen Teil. Ich kann mir vorstellen, dass es in der Praxis zwei Hauptprobleme geben kann:

  1. Mobbing durch andere Auszubildende oder Mitarbeiter.
  2. Beeinträchtigung der Arbeitsleistung bei starken Symptomen

Leider weiß ich noch nichts Genaueres über die Situation in deinem Betrieb, aber ich rate jedem Ausbilder mit einem solchen Fall, sich zunächst ausführlich zu informieren und einen Überblick über das Thema zu verschaffen. Je mehr du darüber weißt, umso besser bist du auf den nächsten Schritt vorbereitet: ein Gespräch mit deinem Auszubildenden. Auch wenn es in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema ist, solltet ihr möglichst offen darüber reden und folgende Fragen klären:

  • Wie stark ist die Inkontinenz?
  • Wie geht es dem Auszubildenden mit der Inkontinenz und der Situation im Unternehmen?
  • Könnt ihr irgendetwas dafür tun, dass die Situation (noch) besser wird?
  • Inwiefern beeinträchtigt die Krankheit die Leistung des Auszubildenden?
  • Können trotz dessen alle Ausbildungsinhalte vermittelt werden?

Ich denke bei den meisten Formen von Inkontinenz kann die Ausbildung weitergeführt werden – wichtiger ist abzuklären, wie es weiter geht.

Neben den Aspekten, die für dich, den Ausbildungsbetrieb und deinen Auszubildenden wichtig sind, solltest du auch im Blick behalten, ob die anderen Auszubildenden/ Mitarbeiter darüber Bescheid wissen und wie sie damit umgehen. In Anbetracht dessen, dass es anscheinend schon eine peinliche Situation gab, würde ich überlegen und mit Peter besprechen, ob es sinnvoll ist damit offen umzugehen. Ich denke (sofern es zu unschönen Zwischenfällen kommt) solltest du dringend Aufklärungsarbeit leisten, damit die Kollegen von Peter verstehen, was diese Krankheit ist und inwieweit sie ihn beeinträchtigt.

Meine persönliche Devise ist immer, dass Wissen Verständnis schafft – und damit eine angenehmere Atmosphäre und Zusammenarbeit. Besprich aber bitte alle deine Schritte mit deinem Auszubildenden – denn er sollte sich dadurch auf keinen Fall unwohler fühlen!

Darf dem Auszubildenden gekündigt werden?

Auch wenn du nicht danach gefragt hast, möchte ich noch darauf eingehen. Generell können der Ausbildende und der Auszubildende innerhalb der Probezeit ohne Angaben von Gründen kündigen. Danach ist eine Kündigung seitens des Betriebes aus einem wichtigen Grund nur möglich, wenn der Auslöser dafür so schwerwiegend ist, dass eine weitere Zusammenarbeit unmöglich ist.1.

Das Inkontinenz ein wichtiger Grund ist, wage ich zu bezweifeln. Da dein Auszubildender vor Beginn der Ausbildung von einem Arzt untersucht und für ausbildungstauglich befunden wurde2, hättet ihr im Falle einer Kündigungsschutzklage schlechte Karten vor Gericht.

Aber auch abseits der Gesetzbücher denke ich, dass eine Kündigung nicht sinnvoll und zielführend wäre. Mit Hilfe geeigneter Hilfsmittel und Therapien können Betroffene meistens sehr gut leben. Warum also die Ausbildung vorzeitig beenden und das Potenzial eines jungen Menschen verschwenden? Ich denke mit Offenheit, Ehrlichkeit und Respekt bekommt man diese Situation sicher gut in den Griff.

Huhu Hans,

ich hoffe meine Tipps helfen dir. Ich wünsche dir und deinem Auszubildenden auf jeden Fall, dass ihr eine Lösung findet und ihr alle lernt, damit angemessen umzugehen.

Bitte achte dabei vor allem auf deine Art damit umzugehen. Halte die Waage zwischen Über- und Unterforderung. Zwischen Mitleid und unnötiger Härte. Und letztlich auch zwischen Bevorzugung und Ignorieren. Persönlich denke ich, dass das die größte Herausforderung ist – denn objektiv zu bleiben ist eh schon schwer und in so einer Situation noch mehr.

Falls ich dir noch irgendwie helfen kann, melde dich.

Liebe Grüße,

Katja

Quellen:

  1. Quelle: Vgl. § 22 Kündigung – Berufsbildungsgesetz (BBiG), auf: https://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/__22.html; abgerufen am 22. Juni 2019
  2. Quelle: § 32 Erstuntersuchung – Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz – JArbSchG), auf: https://www.gesetze-im-internet.de/jarbschg/__32.html; abgerufen am 22. Juni 2019

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